Atelier und Künstler – Band 4
Landratsamt Heidelberg
1999 erschien Band 4 der Publikationsreihe „Atelier und Künstler“, herausgegeben vom Landratsamt Heidelberg. Das Buch dokumentierte Daniel Nagels Atelier in Neustadt/Geinsheim (Gäustraße 81) und enthielt einen wichtigen Essay der Kunstkritikerin Ingeborg Harms. Ein Jahr später folgte eine Besprechung der Galerie Nagel in der FAZ.
Ingeborg Harms schrieb im Oktober 1998: „Daniel Nagel gehört zu den Künstlern, die die Leinwand nicht im Stich gelassen haben. Statt der seriellen Bildproduktion der Gegenwart trotzig den Rücken zu kehren, setzt er sich mit ihr auseinander. Seine Werke greifen die Formen, Gesichter, Figuren der Magazinwelt auf, um sie zur Kenntlichkeit zu entstellen.“
Harms analysiert Nagels Arbeitsweise: „Indem er durch Collagen und Übermalungen die Gefälligkeit unserer Ich-Bilder irritiert, hat er eine weitaus mächtigere Waffe geschmiedet als die den Trend beherrschende Kunst ohne Handschrift. Wer durch die Ritzen seines gestählten Leibs gelangen will, muß sein Selbstbild demolieren.“
Der Essay bezieht sich auf Michail Bachtins Konzept des grotesken Leibs aus dem Mittelalter: „Während unser kanonisches Körperbild von zeitloser Vollkommenheit regiert wird, wußte das Mittelalter von der wesentlichen Hinfälligkeit der menschlichen Physis. Den einen, festen Leib gibt es gar nicht. Wir gehen in jedem Augenblick von einem Umriß in den anderen über, sterben, entstehen, tauschen uns aus.“
„Daniel Nagel exponiert das narzißtische Theater, das der Mensch am Ende des zweiten Jahrtausends mit seinem Konterfei anstellt,“ schreibt Harms. „In seiner Privatgalerie sehen wir nicht das Ideal als Multiple, sondern die zahllosen Grimassen und traurigkomischen Verrenkungen, das Zucken und Zerren, mit dem der Schatten nach seinem Gesicht sucht.“
In der FAZ (23. Dezember 2000) beschrieb Ingeborg Harms Nagels serielle Kopfbilder als „Röntgenbilder der Seele“: „Seine Collagen kristallisieren sich um manipulierte Fotografien, schwarzweiße Lichtbildporträts, zum Teil von Totenmasken oder Marmorskulpturen. In gespenstischer Auflösung begriffen, mit Schattenkorsetts versehen und von halluzinatorischen Netzhautbildern überblendet, entstehen bizarre Charaktere, die mit dem Cartoon kokettieren.“
„Nagels kubistisches Verfahren, das mit Übermalungen und Auswaschungen operiert, steigert das Physiognomische durch kalkulierte Verzerrungen,“ schreibt Harms. „Die auratische Dimension der multiplen Gesichtsikone im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit unterwandert Nagel durch Variation und Grenzzersetzung. Köpfe werden gespalten, Farbkörper wirbeln in sie hinein, Raum durchdringt die physiognomischen Details.“
„Daniel Nagel ist vom Temperament her ein gestischer Künstler, der in den achtziger Jahren zu den Protagonisten der Heftigen Malerei gehörte,“ analysiert Harms. „Den dynamischen Impuls zügelt er nicht nur durch den Widerstand des fotografischen objet trouvé, sondern der Pinselstrich wird auch durch die ornamentale Kassettierung der Bildoberflächen rhythmisch gebrochen. Das Episch-Stationenhafte der gitterförmigen Bildanordnung unterläuft die malerische Aggression.“
“Röntgenbilder der Seele könnte man Daniel Nagels serielle Kopfbilder nennen. In gespenstischer Auflösung begriffen, entstehen bizarre Charaktere, die mit dem Cartoon kokettieren.”— Ingeborg Harms, FAZ, 23. Dezember 2000
Impressionen
Dokumentation
Presseartikel
